In aller Ruhe entsteht unter den Händen ein Bild – und es kommt nicht darauf an, ob es besonders schön geworden ist, sondern was im Prozess des Malens sich zeigt – innerlich wie äußerlich.
ANTHROPOSOPHISCHE KUNSTTHERAPIEN
Die Kunsttherapien – Malen, Plastizieren, Musik – gehören unverzichtbar zur Anthroposophischen Medizin, weil sie die Eigenaktivität des Patienten fördern und durch das kreative Handeln heilsame Prozesse anregen. Die Auseinandersetzung mit Ton, Holz oder Stein, mit Farbe, Form und Klang lässt anders wahrnehmen, hören, sehen und fühlen.
Für alle künstlerischen Therapien ist keine bestimmte Begabung erforderlich. Es geht nicht um einen ausgefeilten musikalischen Vortrag oder eine perfekte Zeichnung, eine kunstvolle Skulptur. Vielmehr kommt es darauf an, den künstlerischen Prozess, das eigene kreative Tun und den dadurch ermöglichten Dialog zwischen Innen und Außen, Nähe und Distanz zu erleben. Das ist auch vermeintlich unmusikalischen oder zeichnerisch und gestalterisch unbegabten Menschen möglich.
Oft wächst die Motivation für die Kunsttherapien im aktiven Tun. Ist eine bestimmte Schwelle einmal überwunden, ist im Erleben bewusst geworden, wie befreiend, beseelend und stärkend kreative Kräfte wirken, entdecken viele Patienten in der langfristigen Wiederholung der künstlerischen Aktivität eine wichtige Gesundheitsquelle und Bewältigungsstrategien für ihr weiteres Leben.
Alle Therapien werden von Kunsttherapeut:innen begleitet. Sie geben auch Hilfestellung, wenn es mal nicht mehr weiterzugehen scheint oder wenn während der Therapie Probleme auftauchen.
Das Malen bedeutet eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst auf der Suche nach dem inneren Gleichgewicht. Zugleich bietet sie die Möglichkeit, durch das seelische Erleben der Formen und Farben die funktionellen Abläufe im Organismus zu beeinflussen.
Die Instrumente dafür sind Pinsel und Farbe, Kreide, Stifte und Papier. Bei der Gestaltung von Form und Farbe, Helle und Dunkel, Flächen und Linien mit Pastell oder Vollton, zartem oder kräftigem Strich treten sowohl Erinnerungen aus der Vergangenheit zutage, aber ebenso Wünsche für die Zukunft oder ein Bewusstsein für die Gegenwart. Sie spiegeln sich in dem neu entstandenen Bild auf vielfältige Art und Weise.
Dabei ist der Weg das Ziel. Im kreativen Erschaffen eines Bildes kommt es nicht darauf an, eine Landschaft möglichst originalgetreu abzubilden oder ein Gesicht treffend zu portraitieren. Viel wichtiger ist das Erleben des Zusammenspiels von Farben und Formen als individueller Ausdruck von Gefühlen und Stimmungen. Es geht um die unmittelbare sinnliche Auseinandersetzung mit Eindrücken, Gefühlen, Gedanken und den eigenen Kräften, die sich im Malen und Zeichnen auf individuelle Weise zeigen. Das kann ein Ventil für Erlebtes sein, aber auch Katalysator für vorher noch nicht Wahrgenommenes, das dann über das künstlerische Tun ins Bewusstsein tritt und wirkt. Dabei können sich neue Wege eröffnen im Umgang mit der Krankheit, mit Krisen, mit sich selbst und der Umwelt.
Beim plastischen Gestalten mit Ton ist ein intensives körperliches Erlebnis. Innere Gefühle, Gedanken und Kräfte, die teilweise noch verschüttet und unbewusst sind, werden erkennbar und in eine äußere Form und Gestalt übersetzt. Das sinnliche Erlebnis des Tastens spricht die eigenen formbildenden und ordnenden Prozesse an und fördert sie.
Plastizieren braucht Ruhe, Konzentration und Hingabe. Der Ton lässt sich mit der Hand greifen, mit dem Handballen oder der Handaußenseite, Daumen und Fingern rhythmisch drücken, quetschen oder schieben. Das erdet und zentriert, beruhigt und konzentriert. Die Oberfläche der geformten Skulptur lässt sich mit der Hand oder mit Werkzeugen kratzen, streichen, klopfen oder schlagen, in getrocknetem Zustand auch raspeln oder schmirgeln. Viele Patienten fühlen sich anschließend durch und durch erwärmt und belebt – obwohl die Tonerde selbst eher kühl ist.
Die Arbeit mit Ton kann auch Halt geben. Denn ganz gleich, welche Form unter den Händen wächst – sie steht dem, der sie erschuf, immer in ihrer Dreidimensionalität klar und fassbar gegenüber.
Ist der Körper zu schwach für die Arbeit mit Ton oder schmerzen die Hände zu sehr, kommen auch Wachs oder Sand zum Einsatz.
Musik öffnet über Stimme, Melodie, Harmonie, Klang und Rhythmus die Tür zu inneren Erlebnisräumen. Sie spricht die Gefühle an, nicht den Verstand, regt die Selbstheilungskräfte an und hilft, den eigenen Ton wiederzufinden, in Einklang zu kommen mit sich selbst.
Dafür sind keine Vorkenntnisse erforderlich – um an einer Musiktherapie teilzunehmen, muss man kein Instrument spielen oder singen können, und bedarf auch keiner besonderen Musikalität. Es geht nur darum, einzutauchen in die Qualitäten von Melodie, Harmonie und Rhythmus, mitzuschwingen mit den Klängen.
Das gesamte Instrumentarium ist leicht zu spielen: einfache Streich-, Zupf- oder Blasinstrumente lassen die eigene Kreativität erleben. Klangschalen oder Gongs lassen spüren, wie sich Klänge unmittelbar auf den ganzen Körper auswirken.
Musiktherapie kann aber auch bedeuten, einfach nur zuzuhören, vor allem, wenn der Patient zu schwach ist, selbst ein Instrument zu spielen. Meist spielt der Musiktherapeut dann eine improvisierte Melodie auf der großen Standleier. Im Zuhören und Mitschwingen öffnen sich häufig innere Welten und neue Dimensionen des Fühlens und Seins.